Es herrscht kein Zweifel: Die meisten Muslime, ob in Deutschland oder weltweit, mögen die USA nicht – gemeint ist nicht das amerikanische Volk, sondern die amerikanische Politik der letzten Jahrzehnte. Viele hassen sie sogar. Warum eigentlich?
Jeder, ob Muslim oder nicht, dürfte zumindest eine Ahnung haben, in welche Richtung die Antwort geht. Wie komme ich drauf? Liebe Nichtmuslime, Hand aufs Herz: Lautet die korrekte Frage nicht eher, warum der durchschnittliche Muslim die USA noch weniger mag als der durchschnittliche Nichtmuslim?
Spätestens seit jedem Deutschen bewusst wurde, dass sein Online-Leseverhalten von der NSA … nein, spätestens seit Guantanamo; ach was, spätestens seit dem Irak-Krieg, nein, spätestens seit … die Liste reicht weit zurück. Es ist schwierig, einen markanten Anfang für die vielen Verbrechen der USA zu finden. Sie sind der Grund für die Abneigung, die die USA erfahren, nicht nur durch die Muslime. Und nebenbei: Die NSA weiß, dass du diesen Artikel noch immer liest.
Der Artikel könnte an dieser Stelle schon fertig sein, schließlich haben wir eine grobe Antwort auf die anfangs gestellte Frage: Es sind die Verbrechen der USA. Aber das beantwortet noch nicht alles. Um der Sache näher zu kommen, fragte ich einige Muslime in meinem Bekanntenkreis über den speziellen Grund ihrer Abneigung.
Meinungen einiger Muslime
Beginnen wir mit Ali: „Ich mag an dem System und der Regierung diese unglaubliche Arroganz und dieses Welt- und Menschenbild nicht, dass sie die Herrscher über die Welt seien und dass sie eine Kompetenz-Kompetenz hätten, überall die Maßstäbe zu setzen und zu bestimmen, wer gut und wer böse ist und gegen wen Krieg zu führen ist und gegen wen nicht, wer auf ihrer Seite ist und wer nicht auf ihrer Seite ist, dass sie bestimmen, wer sein Recht auf eine freie Existenz verwirkt. Kurz: Ich mag diese imperialistische Ideologie nicht, die sich hinter den Begriffen Menschenrechte und Demokratie verbirgt, ich mag diesen unmenschlichen und barbarischen Kapitalismus nicht, diesen Konsumwahn. Das sind alles Dinge, die ich nicht mag oder das sind alles Gründe, warum ich die USA bzw. das US-System oder die Regierung nicht mag.“
Hassan hebt vor allem die unvergleichliche kriegerische Aggressivität der USA hervor: „Die USA mischen sich in die inneren Angelegenheiten anderer Nationen ein und versuchen, mit militärischer und kultureller Gewalt, ihre Ansichten zu exportieren. Völker, die sich dagegen wehren, werden mit Scheingründen zurück ins Mittelalter gebombt.“
In die gleiche Richtung geht Rizas Abneigung: „Sie überziehen die gesamte Welt mit Krieg und Leid. Sie säen Terror an jedem Ort, auf den sie ihren Fuß setzen. Sie stehen für Aggressivität, moralische Zügellosigkeit und Abschaffung der Menschenrechte.“
Etwas ausführlicher begründet Kenan seine Abneigung und stellt am Ende die entscheidende Frage: „Ich sehe die USA als Endergebnis der weltweiten Unterdrückung seit Anbeginn der Menschheit. Sie und ihre Helfershelfer propagieren die schlimmste Form der Tyrannei, die die Welt je gesehen hat. Von dem Holocaust an den Ureinwohnern Amerikas über die Atombomben über Japan bis hin zu den zahlreichen Kriegen auf dem asiatischen Kontinent. Die ganze Welt leidet unter diesem Imperium. Die Frage ist eher: Wie könnte ich nach all dem die USA mögen?“
Sadik macht deutlich: „Ich mag die USA nicht, weil sie sich in die Angelegenheiten der Länder der ganzen Welt einmischen, mit dem Ziel, sich selbst zu bereichern, weil sie trotz all ihrer Verbrechen so arrogant auftreten, als wären sie die Wächter über die Menschenrechte, weil sie faktisch eine Oligarchie sind, sich aber für eine lupenreine Demokratie halten und weil Gewalt zu einem Wesenszug ihrer Gesellschaft geworden ist, im Interesse der Waffenlobby.“
Ich persönlich füge noch die imperialistische Kultur der USA hinzu, die die Gewohnheiten und Gepflogenheiten aller Kulturkreise weltweit unterwandert. Wir ziehen Jeans an, weil sie cool zu unseren Hoodies passen, trinken Coke, wenn wir unseren Hollywoodfilm genießen, essen Hotdogs oder gleich bei McDonalds. Wir hören Musik, selbst wenn in deutscher Sprache, dennoch aus US-Genres, wie Hip-Hop, Rock oder Metal. Wir chillen lieber, als uns auszuruhen, haben lieber einen eigenen Style als einen Stil, das passt besser zu den Nike-Schuhen. Während gewisse Kreise sich vor einer Islamisierung des Abendlandes fürchten, amerikanisieren die USA uns seit Jahrzehnten immer mehr. High five.
Warum hassen Muslime die USA mehr als andere?
Zumindest die Gewalttätigkeit werden auch Nichtmuslime als Abneigungsgrund sicher verstehen und nachvollziehen können. Dennoch bleibt eine Frage offen: Warum ist bei Muslimen die Abneigung gegen die USA stärker ausgeprägt als bei anderen Menschen?
Holen wir etwas aus. Die Muslime haben ihre eigene, weit zurückreichende Geschichte mit Gewaltherrschern. Angefangen bei den ersten Dynastien wie die der Umayyaden bis hin zum Schah von Persien und den Königen von Saudi-Arabien: Die islamische Geschichte geizt nicht mit Tyrannen, die das koranische Prinzip „Unterdrückt nicht“ [1, Koran 2:279] nach Strich und Faden verletzt haben. Der Koranvers, aus dem dieses Prinzip hervorgeht, weist aber auch die Richtung auf, in die ein Muslim zu schreiten hat, wenn Despoten herrschen. „Unterdrückt nicht“ ist nur der erste Teil der Maxime, der zweite lautet: „Und lasst euch nicht unterdrücken.“ Und so haben auch die großen Vorbilder der islamischen Geschichte nie zum Unrecht geschwiegen und sich den Verbrechern ihrer Zeit in der jeweils angemessenen Weise gegenübergestellt. Die Botschaft Imam Husseins (a.) „Niemals Unterdrückung“ liefert den heute 1400 Jahre später lebenden Muslimen eine Orientierung für ihr Handeln.
Lange Zeit hatten die Muslime diese Botschaft vergessen oder sie aus Furcht vor den Konsequenzen ignoriert. Und je weniger die Muslime sich über die Jahrhunderte gegen ihre Gewaltherrscher wehrten, desto rückständiger und gespaltener wurden ihre Länder, bis sie sich schließlich im Neokolonialismus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wiederfanden. Eine Zeit, in der die Welt von Chile bis Vietnam, von Algerien bis Pakistan unter dem weltweiten Unterdrückerregime der USA und ihrer engen Verbündeten, allen voran Großbritannien, litt. Ein Unterdrückerregime, das seinen Wachhund Israel in das Herz der Islamischen Welt setzte und in fast allen islamischen Ländern seine Lakaien mit Geld und Waffen an der Macht hielt. Die Islamische Welt litt und leidet wie keine andere Region der Welt unter diesem Regime.
Aus der Islamischen Welt kam Ende der 70er Jahre mit dem Beginn der Islamischen Revolution im Iran schließlich auch die Antwort auf dieses Unterdrückerregime. Es war bis heute die größte Katastrophe, die den USA außenpolitisch widerfahren ist. Imam Chomeinis (r.) Revolution lässt auch heute noch, unter der Führung Imam Chameneis, den Thron erzittern, den sich die USA mit Geld, Waffen und Einschüchterung errichtet haben. Die Muslime waren vor der Revolution und angesichts der Übermacht der USA im Begriff, ihren Hass in Resignation umzuwandeln. Dem setzte Imam Chomeini erfolgreich die Ideologie des Widerstands entgegen. Im gesamten Nahen Osten, in Libanon, in Syrien, im Irak, in Jemen und in Bahrain büßen die USA immer mehr Macht ein. Auch global zeigt sich, dass zumindest für die kommenden Jahrzehnte die Weltordnung eine multipolare, statt eine amerikanisch dominierte sein wird. Muslime freuen sich darauf, auch wenn klar ist, dass die USA noch einige Verbrechen bis zu ihrem endgültigen politischen und wirtschaftlichen Niedergang begehen werden.