Am 15. Oktober 2017 wählt Niedersachsen seinen neuen Landtag, auch ich als Delmenhorster Muslim werde zur Urne gehen, so Gott will. Und wie gerne würde ich die CDU wählen. Kein Scherz. Alle denken, Muslime wählen ohnehin nur irgendwas Linkes oder Grünes. Dabei haben die Christdemokraten viel mit mir und meinen Vorstellungen einer richtigen Politik gemein. Klingt das komisch? Dann nehmen wir doch mal das Grundsatzprogramm [1] der CDU genauer unter die Lupe. Die Kernelemente dieses Grundsatzprogramms finden sich in den sogenannten „zehn Forderungen“ zusammengefasst.

Gleich am Anfang heißt es, die CDU bekenne sich zum christlichen Menschenbild, im detaillierteren Grundsatzprogramm wird auch Bezug auf die „Verantwortung vor Gott“ genommen. Hat das christliche Verständnis vom Menschen nicht viel mehr mit meinem islamischen Verständnis gemeinsam als die rein materiellen Weltbilder der Sozis und Konsorten? Und noch wichtiger: Haben wir als Muslime nicht gelernt, dass wir schon allein wegen unserer Verantwortung vor und unserer Liebe zu Gott und den Menschen dabei mitwirken müssen, die Welt zu einem besseren Ort zu gestalten? Das gilt erst recht für die Politik. Liebe CDU, wir kommen uns näher.

Auch lesen wir: „Der Mensch ist frei geschaffen.“ Ein einfacher Satz, aber sehr bedeutend für einen Muslim. Das erinnert mich an die Lehren des deutschen Muslims Dr. Yavuz Özoguz, der so schön wie kein anderer im Land immer wieder auf ein göttliches Prinzip hinweist: Erst die uns von Gott geschenkte Freiheit ermöglicht uns, die höchste Liebe Gottes zu empfangen.

„Die Freiheit des anderen bedingt und begrenzt die eigene Freiheit“, heißt es ergänzend im Grundsatzprogramm. Ein toller Grundsatz; heißt das, dass die Freiheit der Beleidigung, Schmähung und der Hetze ein Ende nehmen soll? Das fände ich sehr gut.

Als weitere zwei Grundwerte präsentiert die CDU Solidarität und Gerechtigkeit. Da wird mir als Muslim wirklich warm ums Herz. Mich stört höchstens ein wenig, dass die Gerechtigkeit als letztes genannt wird, ist sie doch die Bedingung für die Freiheit. Jesus lebte laut christlicher wie islamischer Lehre doch das Ideal der Gerechtigkeit vor. Aber immerhin, die Gerechtigkeit gehört zu den Grundwerten der CDU und macht sie dadurch attraktiver für mich. Auch die Solidarität, also die gegenseitige Fürsorge und Brüderlichkeit, sind höchste islamische Werte und rücken mein Kreuz weiter in die Nähe der Christdemokraten.

Ist die CDU nicht auch die Partei, die sich im Vergleich zu den anderen durch eine besonders familienfreundliche Politik auszeichnet? Gerade in Niedersachsen wollen sie laut Parteiprogramm die Kindergartenbeiträge abschaffen. Außerdem hatte die Bundes-CDU das von den Sozialdemokraten und Grünen als „Herdprämie“ diffamierte und letztlich gekippte Betreuungsgeld gegen großen Widerstand anfangs durchgeboxt. Schließlich kamen auch die einzigen Stimmen gegen die "Ehe für alle" im Bundestag aus der CDU – während selbst die Muslime in den anderen Parteien allesamt für dieses durch und durch unislamische Gesetz stimmten.

Ja, die CDU könnte so attraktiv für Muslime sein. Sie ist es aber nicht und das hat seine Gründe.

Zuallererst ist da die selbst für deutsche Verhältnisse herausragende Rolle der Union in der Unterstützung des Apartheid- und Terrorregimes „Israel“. Die Muslime und andere gerechtigkeitsliebende Menschen haben nicht vergessen, dass es Angela Merkel war, die die Existenz dieses rassistischen Konstrukts zur deutschen Staatsräson erklärte. Das ist ein Hochverrat an den von der CDU proklamierten Werten Freiheit und Gerechtigkeit. Denn beide Werte müssen in einen Staat führen, in dem Juden, Christen und Muslime in Freiheit und Gerechtigkeit zusammenleben. Stattdessen steht die Union für einen undemokratischen, zionistischen Staat ein.

Auch klingen die Forderungen im Wahlprogramm der Niedersachsen-CDU in Sachen Asylpolitik[2] absurd, solange die CDU „Israel“ unterstützt. Eine vernünftige Politik kann nicht darin bestehen, auf der einen Seite den Staat zu fördern, der für einen Großteil der Flüchtlingsströme mitverantwortlich ist sowie seit Jahrzehnten eine Rückkehrperspektive verweigert, und auf der anderen Seite die Rückkehr von Flüchtlingen einzufordern, die keine Bleibeperspektive haben.

Ein weiterer Grund, die CDU nicht zu wählen, liegt darin, dass die Union wie keine andere Partei die Nähe zum größten Verbrecherstaat unserer Zeit pflegt – den USA. Während sich unter der SPD-Regierung eine Achse Paris-Berlin-Moskau dem imperialistischen Krieg der USA gegen Irak widersetzte, reiste Angela Merkel als angehende Kanzlerkandidatin nach Washington und präsentierte sich George Bush als die pro-amerikanische Seite der Bundesrepublik. Sie folgte damit der in den Grundsätzen der CDU formulierten „Rolle Deutschlands in der Welt“, welche die USA und die NATO als ständigen „Ort des sicherheitspolitischen Dialogs“ hervorheben. Aber hier bewegt sich die CDU aktuell in die richtige Richtung. Dank des Präsidenten Trump, der den Charakter der USA besser als jeder andere bisherige US-Politiker verkörpert,[3] hat sich selbst die CDU aufgerafft, zumindest verbal die Beziehung zu den USA von einer Freundschaft zu einer Partnerschaft herunterzustufen.

Schließlich sind als weiterer Grund gegen die CDU, zumindest in Teilen der Partei, unübersehbare antimuslimische Tendenzen festzumachen. Einige Politiker machen sich den fatalen Fehler vieler Christen in Deutschland zu eigen, ihre christliche Identität in der Abgrenzung zur muslimischen zu suchen. Hier zeigt sich eine gewisse Uneinigkeit innerhalb der Union: Als der damalige Bundespräsident Christian Wulff – selbst CDU-Politiker und Niedersachse – feststellte, dass der Islam zu Deutschland gehört, kamen die heftigsten Gegenstimmen von seinen eigenen Parteifreunden. Ebenso erntete Regierungschefin Merkel für ihre in weiten Teilen vorbildliche Flüchtlingspolitik die stärkste Kritik ausgerechnet aus den Reihen der CDU/CSU. Ein Unions-Politiker nach dem anderen postulierte eine diffuse Leitkultur, die sich im Wesentlichen durch die Ablehnung eines sichtbaren Islams kennzeichnet.

Ziehe ich alle diese Punkte in Betracht, bleibe ich dennoch dabei: Ich würde als Muslim gerne konservativ wählen und ich würde der Union vieles verzeihen. Bei aller Kritik würde ich als Wähler auch über den einen oder anderen Punkt in Fragen der Wirtschaftspolitik hinwegsehen. Ich könnte ihr den Widerstand gegen den Mindestlohn verzeihen und bei den vielen Spenden, die die Partei von den großen Konzernen erhält, ein Auge zudrücken. Dass sie als Regierungspartei Milliarden von Euro für die Rettung von verbrecherischen Banken locker gemacht hat, anstatt die Schuldigen an der Finanzkrise zur Verantwortung zu ziehen, würde ich als einmaligen Fehler ausblenden – wenn sich die CDU, vor allem in Sachen Außenpolitik sowie im interreligiösen Dialog, deutlich in Richtung Vernunft bewegt. Denn hier begeht die Union die in meinen Augen unverzeihlichen Fehler.

Gott, zu dem sich die CDU bekennt, weiß, wohin sich die Partei in Zukunft bewegen wird. Aus muslimischer Sicht kann sie einerseits sehr bedrohlich werden, andererseits auch die Partei, der man gerne eine Stimme gibt. Ein Vorschlag, dem die CDU zustimmen dürfte: Beten wir gemeinsam darum, dass uns irgendwann die Vernunft erlaubt, die CDU zu wählen.


  1. Freiheit und Sicherheit. Grundsätze für Deutschland. Kurzfassung des Grundsatzprogramms der CDU Deutschlands, vgl. https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/080215-grundsatzprogramm-kurz_0.pdf?file=1&type=field_collection_item&id=1919 ↩︎

  2. http://cdu-niedersachsen.de/regierungsprogramm/ ↩︎

  3. https://archiv.offenkundiges.de/ein-praesident-wie-er-den-usa-gebuehrt/ ↩︎