Die linke Hand weiß nicht, was die rechte tut. Magen und Darm intrigieren gegeneinander. Auf das Gehirn hört keiner. Willkommen im Körper der schiitischen Vereine in Deutschland.

Wer ist der Vorsitzende?

„Wer ist der Vorsitzende eurer Gemeinde?“, fragte ich den Moderator der Großveranstaltung.

„Was meinst du, Bruder?“, erwiderte er. Der junge Mann ist Student, in Deutschland geboren.

„Ihr seid doch ein eingetragener Verein und du bist langjähriges Mitglied“, sagte ich. „Du kennst sicher euren Vorstand und den Vorstandsvorsitzenden.“

Er überlegte und antwortete dann: „Abu Ali hat die Schlüssel und Hadsch Hussein betet immer vor, wenn kein Gelehrter dabei ist. Meinst du das?“

Später stellte ich einer älteren Schwester aus der Gemeinde dieselbe Frage. Sie antwortete: „Früher war Abu Ali der Leiter. Dann gab es aber Ärger und heute schließt er nur noch die Moschee auf. Wer der Vorsitzende ist oder wer im Vorstand, weiß ich nicht.“ Die Schwester ist seit zwanzig Jahren ein verantwortliches Mitglied der Gemeinde.

Das ist keine kuriose Ausnahme, sondern Alltag in schiitischen Gemeinden in Deutschland. Selbst langjährige Mitglieder wissen oft nicht, wer der Vorsitzende ist oder wer im Vorstand – oder ob es einen Vorstand gibt. Die in der Vereinssatzung vorgeschriebenen Mitgliederversammlungen finden genauso wenig statt wie Vorstandswahlen. Von Kassenberichten ganz zu schweigen. Rückständiges Denken beherrscht viele Gemeinden: Verheimlichungen sind an der Tagesordnung, Entscheidungen werden von zwei, drei Leuten im Hinterzimmer getroffen, die Mitglieder vor vollendete Tatsachen gestellt. Und selbst wenn es Vollversammlungen, Vorstandswahlen und Protokolle gibt – wie es beispielsweise für einen Dachverband unvermeidlich ist –, ändert das in der Praxis am intransparenten Gebaren wenig.

Transparenz in der Führungsarbeit von Gemeinden

Transparenz bedeutet Durchsichtigkeit: klare Verhältnisse, Nachvollziehbarkeit, Offenheit gegenüber den Mitgliedern. Jeder kennt den Vorsitzenden, den Vorstand und seine Aufgaben. Jedes Mitglied weiß um seine Rechte und Pflichten. Der Vorstand ist den Mitgliedern gegenüber Rechenschaft schuldig und ist kein Gremium von Fürsten, die über Bauern herrschen. Das islamische Ideal und das deutsche Vereinsrecht fordern beide dieselbe Führungsstruktur – und werden beide von manchen schiitischen Führungsleuten ignoriert.

Gründe für diese Misere gibt es zuhauf. Noch immer sind fast alle Gemeindeleiter und Entscheider nicht in Deutschland angekommen, sind beherrscht vom Führungsdenken ihres orientalischen Heimatdorfes. Im Dorf gibt es keine Vollversammlungen oder Wahlen, sondern einen herrschenden Clan mit dem Oberhaupt an der Spitze. Warum sollte man das in Deutschland anders umsetzen als im Irak oder Libanon?

Ein weiterer Grund ist schlichte Unfähigkeit: Wer das Organisieren nie gelernt hat, wird höchstens das Chaos im Zaum halten, aber keine islamische Gemeinde zur Blüte führen. Die meisten Vorstandsmitglieder, ob im Verein in der Kleinstadt oder in Verbänden, haben die für ihre Position notwendige Kompetenz nie erworben.

Die gewichtigste Ursache ist aber das allgegenwärtige Machtstreben. Viele wollen Führer sein, wenige sich führen lassen. Der Stuhl der Macht ist zuweilen wichtiger als die Gemeinde, das Ich wichtiger als die Funktion. Genau das Gegenteil der islamischen Führungstheorie.

Verantwortung der Mitglieder

Diese Führungen sind nur ein Symptom, nicht die Ursache des Problems. Die Ursache liegt in den Mitgliedern, sowohl in den Einzelpersonen eines Vereins, als auch in den Gemeinden als Mitglieder eines Verbands: Jeder erhält die Führung, die er verdient.

Wenn ein Mitglied jede Verfehlung des Vorstands ohne sachgerechte Nachfrage und Kritik akzeptiert, dann trägt es eine Mitschuld. Wenn ein Mitglied aus Egoismus tatkräftig zur Eskalation eines Konflikts in der Gemeinde beiträgt, der zur Schwächung oder gar Spaltung der Gemeinde führt, trägt es eine Mitschuld. Wenn schiitische Gemeinden tatenlos zusehen, wie ihr Dachverband in Gefahr läuft, mit offenen Zionisten zu kooperieren und von diesen Bundesgelder zu empfangen, dann werden sie dafür geradezustehen haben.

Der Diagnose muss die Therapie folgen. Der erste Schritt ist das Schaffen und Einfordern von Transparenz in der Gemeindeführung und -arbeit, nachdrücklich und immer wieder. Es wird Widerstand geben, mit Intrigen muss gerechnet werden. Aber wenn die Absicht darin liegt, die Gemeinde als wertvolles Strukturelement der Muslime zu stärken und ihr das Potenzial zu öffnen, von dem sie heute meilenweit entfernt ist – ohne jegliche egoistische Ambitionen –, dann wird es mit Gottes Hilfe gelingen. Nach der Transparenz folgt der zweite Schritt: Kompetenz in der Gemeinde fordern und fördern. So ist ein schrittweiser Wandel möglich.

Die Gefahr des Scheiterns liegt nicht bei Herrschaften, die sich an Stühle klammern und einem einflussreichen Herrscherclan. Sie liegt in den zwei Kapitalfehlern aller Revolutionäre: Ungeduld und Aufgabe auf der einen Seite, die in Resignation und Absonderung münden, und Egoismus und Machtstreben als wahrer Antrieb der vorgeblichen Forderung nach Transparenz auf der anderen Seite, die im Erfolgsfall die Fehler der Früheren wiederholen.

Dieser Artikel wurde ins Arabische übersetzt.