Homosexuelle können in Deutschland heiraten. Hierzu wird § 1353 des Bürgerlichen Gesetzbuches geändert und lautet bald: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen.“ Bevor es soweit kommen konnte, sind jahrzehntelange Debatten um einen Paragrafen des Strafgesetzbuches geführt worden, den § 175 StGB. Ein Rückblick.
Als erstes allgemeines deutsches Strafgesetzbuch gilt die Constitutio Criminalis Carolina (CCC) von 1532. Dieses erste deutsche Strafgesetzbuch übernahm christliche Werte und erließ Gesetze angelehnt an Bibelversen wie „Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau; es ist ein Gräuel“ (3. Mose, 18:22) oder „Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben; Blutschuld lastet auf ihnen“ (3. Mose, 20:13). Im ersten deutschen Strafgesetzbuch wurden homosexuelle Handlungen laut Art. 116 (CCC) mit dem Feuertod bestraft. Im 18. Jahrhundert gab es immer noch Strafen für homosexuelle Handlungen, allerdings keine Todesstrafen mehr. Mit der Einführung des Reichsstrafgesetzbuches (RStGB) im Jahre 1871 wurden homosexuelle Handlungen in § 175 untersagt und bestraft, darin hieß es: „Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Tieren begangen wird, ist mit Gefängnis zu bestrafen.“
Anfang des 20. Jahrhunderts wurden einige Bestrebungen angestellt, den § 175 StGB zu erweitern oder zu ändern. 1909 wurde diskutiert, ob auch weibliche Homosexuelle ebenso bestraft werden sollen, was aber abgelehnt wurde. Von 1911 bis 1935 ging es soweit, die Strafe von homosexuellen erwachsenen Männern zu unterlassen, dafür aber homosexuelle Handlungen von Erwachsenen mit Kindern härter zu bestrafen. Bis dahin stand die Unzucht zwischen Männern und die Unzucht von Menschen mit Tieren gemeinsam im § 175 StGB. 1935 kamen die Nazis an die Macht und damit einhergehend eine Aufspaltung des § 175 StGB: Unzucht von Menschen und Tieren wurde gesondert in § 175 b StGB thematisiert. Außerdem gab es höhere Strafen für Homosexuelle, die Jugendliche vergewaltigten. Ein „Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen lässt“ wurde mit Gefängnis bestraft. Bei Männern unter 21 Jahren konnte das Gericht in besonders leichten Fällen von der Strafe absehen.
Nach der Herrschaft der Nazis und mit der Gründung der Bundesrepublik 1949 behielt man die härteren Strafen der Nazis gegen Homosexuelle bei. Gesetze, die typisch für die Nazis waren, wurden ersetzt. Zwar stimmte 1951 die Mehrheit beim Deutschen Juristentag dafür, die Strafbarkeit von Homosexualität unter Erwachsenen abzuschaffen. Die härteren Strafen für Homosexualität wurden von den Gerichten aber nicht als typisch nationalsozialistisch gesehen und wurden beibehalten. Auch als 1955 zwei Homosexuelle eine Verfassungsbeschwerde einreichten und den § 175 StGB als Nazi-Gesetz verstehen wollten, urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass der Paragraph nicht als nationalsozialistisch geprägtes Recht zu betrachten ist.
Ab den 1960er Jahren und mit den Bewegungen für sexuelle Freizügigkeit wurden immer mehr Bücher von der Homo-Lobby publiziert oder finanziert, in denen der § 175 StGB kritisiert wurde. Ab den 1970er Jahren erhielt die Homo-Lobby auch von Feministen, der Sexualwissenschaft und Prominenten Unterstützung.
1973 wurde das Kapitel im Strafgesetzbuch zum Sexualstrafrecht von „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ in „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ umbenannt. Hierbei wurde die Überschrift des § 175 StGB von „Unzucht zwischen Männern“ in „Homosexuelle Handlungen“ geändert. Außerdem wurden homosexuelle Handlungen von Männern über 18 Jahren, wenn beide damit einverstanden waren, nicht mehr unter Strafe gestellt. Dennoch wehrten sich Behörden dagegen, homosexuelle Handlungen in der Öffentlichkeit tatenlos zuzulassen. So ließ 1976 die Stadt Aachen – mit Verweis auf § 175 StGB – einen geplanten Infostand der Homo-Lobby verbieten mit der Begründung, dass Jugendliche vor einer Kontaktaufnahme mit Homosexuellen, jedenfalls auf öffentlicher Straße, und dadurch möglichen Verführung zu schützen seien.
Als erste Partei im Bundestag stellte die Partei der Grünen 1985 einen Antrag auf komplette Streichung des § 175 StGB. Mit der Wiedervereinigung 1990 kam es zu Diskussionen darüber, ob die Auslegung des § 175 StGB der DDR oder der aus West-Deutschland in das gemeinsame Strafgesetzbuch übernommen werden sollte. In der DDR war wegen Homosexualität schon seit 1957 niemand mehr verurteilt worden und 1989 wurden dort Gesetze gegen Homosexuelle komplett gestrichen.
In dieser Zeit führte Dänemark als erster Staat der Welt die registrierte Partnerschaft ein, welche den Homosexuellen erstmals eine gesetzliche Partnerschaft zuerkannte. Dies nutzte die Homo-Lobby, um in Deutschland medial für eine homosexuelle Partnerschaft zu werben. Es folgten zahlreiche Debatten, die auch im Fernsehen ausgetragen wurden. 1991 strahlte die ARD eine Sendung aus, in der über Pros und Kontras der Homosexuellen-Ehe diskutiert wurde. Die prominente Homosexuelle Hella von Sinnen sorgte im gleichen Jahr für Aufsehen, als sie verkündete, ihre Partnerin heiraten zu wollen.
Die Homo-Lobby rief am 19. August 1992 zu einer Aktion auf, die man „Standesamt für alle“ nennen könnte und forderte von homosexuellen Paaren die Erstürmung der Standesämter. Dort bekamen Homosexuelle Musteranträge ausgehändigt, mit denen sie ihre Partnerschaft amtlich machen wollten. Über 250 Paare nahmen an dieser Aktion teil und erhielten enorme mediale Aufmerksamkeit. Als es 1994 ein gemeinsames Strafrecht für beide Länder gab, stimmt der Bundestag mehrheitlich dafür, den § 175 StGB komplett zu streichen. Wenn man im Strafgesetzbuch den § 175 aufschlägt, ließt man heute: „(weggefallen)“.
Im Jahr 2000 bezeichnete der Bundestag rückwirkend, dass die Verschärfung des § 175 StGB durch die Nazis als typisch nationalsozialistisches Gedankengut gelte. 2001 wurde das sogenannte Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG) erlassen. Dies ermöglicht zwei Menschen gleichen Geschlechts die Begründung einer standesamtlichen Lebenspartnerschaft (Verpartnerung). Am 30. Juni 2017 beschloss der Bundestag, dass in Deutschland künftig auch homosexuelle Paare die Ehe eingehen können.