Der folgende Artikel stammt von unserem Nachwuchsautor Muhammad.

Das Ziel eines jeden Gläubigen auf dieser Welt ist es, die eigene Vervollkommnung anzustreben, um dadurch die höchste Stufe der Liebe Gottes zu empfangen. Um diesem Ziel näher zu kommen, schenkt uns Gott Hindernisse, welche wir als Menschen überwinden können, um ihm durch das Überwinden näher zu kommen und noch mehr von seiner Liebe empfangen zu können. Um jedoch über diese Hürden zu springen, bedarf es vor allem an Sabr.

Der arabische Begriff „Sabr“ wird ins Deutsche oft mit „Geduld“ übersetzt, was wiederum im deutschen Sprachverständnis oft zu Missverständnissen führt. Denn der Begriff bedeutet neben Geduld vor allem auch Standhaftigkeit oder Langmut (langanhaltender Mut). Wie erklären wir nun diesen Begriff? Grob können wir erstmal festhalten, dass Standhaftigkeit der Widerstand gegen die Kräfte des Unheils, der Verdorbenheit und der Erniedrigung ist, die uns vom Weg der Vervollkommnung abhalten. Und eben genau diesen Widerstand gilt es zu leisten. Bevor wir uns jedoch damit beschäftigen, wie und wo wir Widerstand und Standhaftigkeit auszuüben haben, klären wir noch die Wichtigkeit von Sabr im Islam. Von den Imamen der Ahlulbayt wird überliefert, dass sie in den letzten Augenblicken ihres Lebens ihrer Familie und vor allem dem nächsten Imam folgenden Vorschlag gaben: „Mein Sohn, sei standhaft für die Wahrheit, selbst wenn es bitter ist.“ Auch wird von ihnen überliefert: „Geduld aus dem Glauben heraus ist wie der Kopf für den Körper.“ Hieraus ist nun deutlich zu entnehmen, dass es sich bei Geduld bzw. Standhaftigkeit um eine der wichtigsten Tugenden im Glauben handelt. Es gilt also für uns Gläubige, gegen das Unheil Widerstand zu leisten, denn Muslime müssen nach dem Grundprinzip des Islam handeln: „Unterdrückt nicht und lasst euch nicht unterdrücken“ (Heiliger Koran 2:279).

Folglich leistet jedoch auch nur dann ein Muslim äußeren Widerstand, wenn es Unterdrückung gibt, da er sich laut dem heiligen Buch nicht zu unterdrücken lassen hat. Nur wogegen sollte ein Muslim in dieser Gesellschaft Widerstand leisten? Wir haben doch hier im Westen ein gerechtes Rechtssystem, Krankenkassen, Strom, Nahrung etc. Andererseits braucht man dem verständigen Leser nicht die erbärmliche Weltsituation zu schildern. Während Sie diese Zeilen lesen, sind einige Kinder am Hungertod in Afrika gestorben, hingegen kauft sich gerade in diesem Moment ein Milliardär seinen dritten Privatjet, während es große Teile der Bevölkerung nicht mal ansatzweise berührt, denn „das ist doch alles soweit weg“ und „was kann ich einfacher Bürger denn schon tun?“. Und genau gegen dieses verbrecherische Weltsystem hat man Widerstand zu zeigen, denn es ist nicht nur ein Teil des Glaubens, nein, es ist die menschliche Pflicht eines jeden Menschen.

Aber der Widerstand gegen die Verbrecher der heutigen Zeit ist nicht der einzige Widerstand, den ein Gottergebener leisten muss. Er muss auch inneren und spirituellen Widerstand leisten, denn auch im Inneren greifen Triebe den Menschen an welche vom großen Feind, Satan, kommen. Wer die Rüstung der Standhaftigkeit nicht anzieht, ist für Satan wie ein Soldat ohne Waffen oder Rüstung. Wer sich jedoch reichlich in Geduld und Standhaftigkeit geübt hat, der ist auf dem Schlachtfeld gegen den Satan ein Krieger mit der besten Rüstung und niemand kann ihm auch nur ansatzweise Schaden zufügen. Jedoch muss dieser Soldat diesen hohen Rang erst einmal verdienen, um so eine Rüstung tragen zu dürfen. Er muss wie ein Soldat des irdischen Lebens sich für den Kampf vorbereiten und trainieren. Dieses Training besteht aber nicht aus Schießübungen. Dieses Training ist für uns die Selbsterziehung. Nur durch Selbsterziehung können wir eine der Stufen der Vollkommenheit erreichen.

Als eines der besten Beispiele für Widerstand gilt der dritte Imam der Muslime, Imam Hussein (a.). Der Imam stand mit seiner Familie und knapp 70 Soldaten auf der einen Seite des Schlachtfeldes. Ihnen gegenüber: eine Armee von 30.000 Mann. Wie konnte es dazu kommen? Nachdem ein neuer Tyrann, Yazid ibn Muawiya, die Macht über die Muslime an sich riss, befahl dieser, dass Imam Hussein, der Enkel des Propheten Muhammad (s.), ihm den Treueid zu leisten hat, andernfalls würde er ihn töten lassen. Jedoch war die reinste Persönlichkeit der Zeit nicht bereit, einem Alkoholiker, der mit Affen spielte, die Treue zu schwören. Er leistete Widerstand. Aber keinen kleinen, der nicht gehört wird, wie der Widerstand eines Ungeduldigen, der auf Satans Feld ohne Rüstung kämpft. Nein, sein Widerstand war so groß, so rein und so wichtig, das 1400 Jahre nach den traurigen Ereignissen von Kerbela Muslime heute noch um ihn trauern.

Doch unsere Aufgabe liegt nicht nur darin, um Hussein zu trauern. Wir müssen den Yazid von heute erkennen und Widerstand leisten, egal wer vor uns steht oder welche Last die Prüfung für uns bedeutet. Wir Menschen und vor allem Muslime in Deutschland haben eine Pflicht. Wir müssen Widerstand leben gegen dieses Unrecht, denn wir sind ein Teil dieser Gesellschaft und wenn sie so unterdrückerisch bleibt, wie sie es jetzt ist, sind wir ein Teil der Unterdrückung. Wir müssen unseren inneren Satan besiegen, um wie Imam Hussein (a.) zu sein. Und erst, wenn wir so sind wie er und bereit sind für den letzten Imam der Muslime, den erwarteten Erlöser, dann werden wir auch, so Gott will, unsere Pflicht erfüllt haben, denn der Sieg ist den Standhaften versprochen. So sagt es beispielsweise Imam Ali (a.): „Einem standhaften Menschen bleibt niemals der Sieg versagt, selbst wenn er sich erst nach langer Zeit einstellt.“

Imam Hussein (a.) ist wieder das beste Beispiel. Nur weil er vor 1400 Jahren diesen Widerstand geleistet hat, gibt es heute noch den reinen Islam. Durch Kerbela haben sich die damaligen Unterdrücker ins eigene Knie geschossen. Noch heute gibt es deshalb Muslime, die für Imam Hussein (a.) Märtyrer werden. Nun, was aber können wir tun? Wir müssen aktiver werden, vor allem auch als Muslime. Wovor sollten wir uns verstecken oder schämen? Wenn wir uns für den Weg Gottes einsetzen, werden wir fürwahr die Gewinner sein! Lasst uns also das Pferd der Geduld besteigen und die Rüstung der Standhaftigkeit anziehen, sodass wir auf dem Schlachtfeld des Widerstandes in den Sieg hineinreiten, so Gott will. Mögen diese wenigen Worte einen Teil dazu beitragen, dass wir Menschen gegen Unterdrückung aufstehen, wir unserer Selbsterziehung noch mehr Wichtigkeit beimessen und die nichtmuslimische Bevölkerung ein wenig mehr Verständnis für die Aktivität der Muslime bekommt.

„Unser Herr, gieße Geduld über uns aus und festige unsere Schritte und hilf uns gegen das Volk der Ungläubigen.“ (Heiliger Koran 2:250)

Buchempfehlung: „Sabr“ von Imam Chamenei, Verlag Eslamica.