Es ist wieder so weit. Der Fastenmonat Ramadan steht vor der Tür. Für Millionen von Menschen beginnt damit die schönste Zeit des Jahres. Eine Zeit des Segens, der Besinnung und der Dankbarkeit.
Über der gesegneten Atmosphäre, an der sich die Fastenden in diesem Monat erfreuen, steht die jährlich wiederkehrende Chance, als gereinigter Mensch aus diesem Monat herauszukommen. Egal, in welchem Zustand sich der Mensch vorher befand: Im heiligen Monat Ramadan erhält er die beste Möglichkeit, mit seiner sündhaften Vergangenheit abzuschließen, seine schlechten Angewohnheiten abzulegen und fortan ein paradiesisches Leben im Mantel der göttlichen Barmherzigkeit zu führen.
Um dieses übergeordnete Ziel zu erreichen; um also den segensreichen Ramadanmonat als Neuanfang für sich nutzen zu können, muss der Fastende jedoch einige grundlegende Regeln beachten. Regeln, ohne deren Beachtung und Einhaltung es für ihn unmöglich sein wird, geläutert und glückselig aus dem heiligen Monat herauszutreten. Welche Regeln sind das?
1. Faste mit allen Sinnen!
Wer seine Seele in diesem Monat bis in den letzten Winkel reinigen möchte, muss mit allen Sinnen fasten. Noch immer reduzieren zu viele Muslime das islamische Fasten auf den Nahrungsverzicht. Dabei ist der arabische Ausdruck صوم [saum] beziehungsweise „siyam“ viel umfassender als seine deutsche Entsprechung suggerieren lässt. Sie schließt das Fasten der Augen, Ohren und der Zunge und weiterer Körperteile mit ein.
Wer im islamischen Sinne fastet, hat sich zu enthalten – und zwar von allem, was sich negativ auf seine Seele und seine Beziehung zu Gott auswirken könnte. Das ist im heiligen Monat nicht nur die Nahrung, auf die ich bis zum Eintritt des Abendgebets (maghrib) zu verzichten habe. Auch der falsche Blick, das üble Gerede oder der schlechte Ausdruck, die allesamt meine Seele schwärzen, sind Handlungen, von denen ich in den Tagen des Ramadan Abstand nehmen muss.
Wer im heiligen Monat lediglich seinen Magen vor Nahrung schützt, dessen Fasten bleibt wirkungslos. Im schlimmsten Falle hat er nur körperlich gelitten, während er spirituell stagnierte oder sogar herabsank. Und wie viele Fastende, so fragte schon der Prophet (s.), haben von ihrem Fasten nichts anderes außer Hunger und Durst?!
In dem heiligen Monat Ramadan müssen wir uns deshalb besonders bemühen, mit all unseren Sinnen und Körpergliedern zu fasten. Das heißt, dass wir uns täglich vornehmen müssen, uns vor jeder Sünde, die auch außerhalb des heiligen Monats eine Sünde darstellt, fernzuhalten. Was schwierig klingt, ist in diesem Monat leichter denn je. Denn nicht nur kann der Satan uns in diesem Monat nichts Böses einflüstern – er ist im heiligen Monat, wie wir aus Überlieferungen wissen, angekettet. Auch der Nahrungsverzicht, mit dessen Auswirkungen sich der Fastende mindestens in den ersten Tagen gedanklich herumschlägt, hilft ihm dabei, Sünden zu meiden. Denn er führt dazu, dass seine zur Sünde aufrufenden Triebseele geschwächt wird. Die Schwäche seines Körpers beschäftigt ihn in den ersten Tagen so sehr, dass er der Sünde aus dem Weg geht.
Erst nach einigen Tagen, wenn sich der Körper des Fastenden ans Fasten gewöhnt hat, gewinnt die geschwächte Triebseele wieder an Stärke. Bis dahin hat der Fastende jedoch längst die Erkenntnis gewonnen, dass es möglich ist, den Tag zu verbringen, ohne in Sünde verfallen zu müssen. Mit dieser Erkenntnis im Geiste und der neu hinzugewonnenen Stärke wird es dem Fastenden schließlich noch leichter fallen, auch die weiteren Ramadantage sündenlos zu verbringen.
2. Verrichte freiwillige, gute Taten!
Die zweite Bedingung, die der Fastende erfüllen muss, möchte er geläutert und gottesbewusst aus diesem Monat heraustreten, ist das Verrichten von freiwilligen, guten Taten. Wer den Monat Ramadan für sich nutzen möchte, sollte so viele gute Taten verrichten wie nur möglich. Denn in keinem anderen Monat wiegt der göttliche Lohn für die gute Tat so schwer wie in diesem. Und kein anderer als der Prophet Muhammad (s.) hat uns das bestätigt, als er uns in seiner bekannten Ramadan-Rede auf die vielen Vorzüge des heiligen Fastenmonats hinwies.
Ich möchte hier beispielhaft drei Vorzüge nennen:
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Wer im Monat Ramadan einen gläubigen Fastenden zum Fastenbrechen speist, wird belohnt, als hätte er einen Sklaven befreit und seine vergangenen Sünden werden vergeben.
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Wer im heiligen Monat einen Vers aus dem Quran rezitiert, wird belohnt, als hätte er in anderen Monaten den gesamten Quran gelesen.
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Wer im heiligen Monat sein Benehmen verbessert, der wird die Sirat-Brücke überqueren (können), an dem Tag, an dem die Füße (darauf) ausrutschen werden.
Ich frage mich und euch: Braucht es mehr Motivation, einen Fastenden zum Fastenbrechen einzuladen, den Quran zu lesen und sein Benehmen zu verbessern als die mit diesen Taten einhergehenden Entlohnungen? Mit Sicherheit nicht. Dabei bilden diese Handlungen nur einen Teil der Gesamthandlungen aus, durch deren Umsetzung der Fastende in diesem gesegneten Monat spirituelle Höhenflüge erleben kann. Wer wissen will, wie er sich seinen Ramadan noch paradiesischer gestalten kann, der möge die gesamte Rede des Propheten durchlesen.
Zu den guten freiwilligen Taten, um die wir in diesem gesegneten Monat wetteifern sollten, zählen aber nicht nur solche, die sich nur auf uns auswirken. Wir müssen uns in diesem Monat auch darum bemühen, Taten zu verrichten, mit denen wir den Muslimen insgesamt helfen und stärken können, wobei wir uns auch für das Wohl unsere Freunde, Familien und Gemeinden einsetzen sollten. Die Taten, mit denen wir anderen Gutes tun, wirken sich sogar noch viel stärker auf unsere seelische Läuterung aus als solche, die sich lediglich auf uns beziehen.
3. Denke über dich selbst nach!
Die dritte Bedingung, die uns hilft, endgültig mit unserer sündigen Vergangenheit abzuschließen, ist die Selbstreflexion. Viel zu oft noch wird die Selbstreflexion bei den Muslimen unterschätzt. Dabei gehört sie zu den stärksten Mitteln auf dem Weg zur Umkehr und spirituellen Vervollkommnung.
Das Nachdenken über sich selbst und den Auswirkungen der Sünde führt uns nämlich zur Einsicht in das Falsche und Böse. Nur dann, wenn ich weiß und überzeugt bin, dass sich eine Tat schädlich auf meine Seele auswirkt, werde ich sie langfristig meiden. Deshalb gehört das Nachdenken über sich selbst, über die Sünde, über seinen seelischen Zustand und seine Beziehung zu Gott zu den wertvollsten Taten in und außerhalb des heiligen Monats. Welche Angewohnheiten habe ich, die sich schädlich auf meine Seele auswirken? Wie stark setze ich mich für meine Gemeinde und den Islam ein? Wie oft denke ich außerhalb des Gebets an Gott? Wie würde es mir ergehen, wenn ich heute sterben würde? Könnte ich dem Schöpfer zufrieden gegenübertreten? Fragen, für die sich der Fastende vor allem im Fastenmonat Zeit nehmen sollte.
Nur wer mit allen Sinnen fastet, freiwillige gute Taten verrichtet und sich selbst reflektiert wird den Monat als neugeborener Mensch verlassen können. Es hängt von uns ab, von unseren eigenen Bemühungen, ob es uns gelingt, die Bedingungen zu erfüllen. Beten wir zu Gott, dass er uns dabei hilft.
Möge Er uns die Kraft geben, unsere Sünden und üblen Gewohnheiten, seien sie groß oder klein, sichtbar oder verborgen, für immer loszuwerden. Möge er unser Fasten annehmen unsere Herzen reinigen und uns in diesen gesegneten Tagen und Nächten seinen unermesslichen Segen spüren lassen.