Einst ersonnen, um die herrschende Elite auf humoristische Weise zu kritisieren, sind sie heute ein Stilmittel, um gegen Minderheiten zu hetzen. Karikaturen: eine bildliche Form der Satire. Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit behauptet die Elite von heute, Satire dürfe alles. Wie ein moralisches Ideal wird sie von Politikern und Journalisten gepriesen und hochgehalten. Aber wenn sie sagen, dass Satire alles darf, dann meinen sie eigentlich, dass Satire fast alles darf. Denn sie darf dann alles, wenn sie sich gegen Minderheiten richtet.

In Frankreich wurde der Lehrer Samuel Paty, der an einer Schule Geschichte unterrichtete, auf offener Straße von einem 18-Jährigen enthauptet. Anlass für die Ermordung soll nach Angaben der Polizei der Umgang des Lehrers mit den Muhammad-Karikaturen gewesen sein. Paty hatte in seinem Unterricht eine Karikatur gezeigt, in welcher der Propheten Muhammad (s.) abgebildet ist, wie er einen Stern zwischen den Po-Backen hält, mit der Aufschrift: „A Star is Born.“ In seinem Unterricht ging es um die Meinungsfreiheit. Zuvor soll der Lehrer die muslimischen Schüler gefragt haben, ob sie den Raum verlassen möchten.

Ich will ehrlich sein, alleine den Karikaturinhalt hier zu beschreiben, löste in mir Übelkeit aus. Doch rechtfertigt dieser respektlose Umgang mit der Heiligkeit von Milliarden Muslimen einen Mord? Nein! Für Mord gibt es im Islam keine Rechtfertigung.

Müssen wir uns jetzt von der Tat distanzieren?

Nein. Wir müssen uns von nichts distanzieren, zu dem wir keine Nähe haben. Es reicht, dass der Islam jede Form von Mord verbietet. In dieser Hinsicht geht der Islam sogar weiter als alle anderen Religionen: Im heiligen Quran wird das Töten einer Seele mit dem Töten der gesamten Menschheit gleichgestellt (Quran 5:32).

Wenn von Muslimen gefordert wird, sich zu distanzieren, dann weil sich dahinter eine perfide Idee verbirgt. Wenn ein Muslim sich distanziert, erkennt dieser eine pauschale Nähe der Muslime zu Mord oder Terrorismus an. So als ob diese Taten – die der Westen im Laufe seiner Kolonialisierung und auch heute noch millionenfach verübt – Bestandteil des Islams seien. Ganz nebenbei vermittelt derjenige dann auch den Eindruck, dass andere Muslime, die sich nicht distanzieren, mit der Tat einverstanden wären.

In seinem zweiten Brief vom November 2015 an die Jugend im Westen hob Imam Chamenei deswegen auch hervor, dass das Leid jedes einzelnen Menschen seine Mitmenschen von Natur aus traurig stimmt: „Wer auch nur einen Hauch Liebe und Menschlichkeit besitzt, den lassen solche Szenen nicht unberührt und erfüllen ihn mit Schmerz, ob sie sich nun in Frankreich abspielen oder in Palästina, Irak, Libanon oder Syrien. Eineinhalb Milliarden Muslime hegen mit Gewissheit dasselbe Gefühl und verabscheuen die Urheber dieser Tragödien.“ Das sind die Lehren vom Propheten Muhammad (s.).

Wir verabscheuen die Tat, ohne uns zu distanzieren. Nicht heute und auch nicht in Zukunft.

Akzeptieren wir die Schmäh-Karikaturen?

Nein. Auch wenn die Medien und Politiker ständig das Mantra der Meinungsfreiheit wiederholen, bleibt es eine leere Worthülse. Sie füllen diese Worthülse, wie es ihnen passt. Mithilfe der elitären Medien haben sie es zudem geschafft, den Begriff Freiheit oder Meinungsfreiheit zu einem Götzen zu erheben, den die Menschen im Westen anbeten können, weil sie ihnen keine anderen moralischen Werte vermitteln können. In Wirklichkeit ist diese vermeintliche Freiheit nichts anderes als eine Geißel. Leider fallen viele Menschen dieser Geißel zum Opfer und denken, sie seien frei, wenn sie einem Wert nacheifern, der ihnen gestattet, einen Propheten Gottes auf verachtenswerte Weise zu schmähen. Was für eine Form der amoralischen Freiheit soll das sein? Die wahre Freiheit lehrt uns der Islam. Von Muhammad (s.) haben wir Moral und Anstand gelernt. Wir beleidigen oder schmähen niemanden. Weder Freund noch Feind.

Die moralische Instanz unserer heutigen Zeit, Imam Chamenei, hat sich aufgrund der Ereignisse erneut an die Jugend in Frankreich gewand und sie gefragt, ob jener Götze der Freiheit nicht eine Beleidigung des Verstandes darstellt:

„An die Jugend Frankreichs! Fragt euren Präsidenten, weshalb er im Namen der Meinungsfreiheit die Beleidigung des Propheten Gottes unterstützt. Bedeutet Meinungsfreiheit das Beschimpfen und Beleidigen von strahlenden und heiligen Persönlichkeiten? Ist diese idiotische Handlung nicht eine Beleidigung des Verstandes jenes Volkes, das ihn gewählt hat?

Die nächste Frage ist, warum das Anzweifeln des Holocausts eine Straftat darstellt? Und warum muss jemand, der diesbezüglich schreibt, ins Gefängnis, während die Beleidigung des Propheten (s.) erlaubt ist?“

Darf Satire wirklich alles?

Nein. Die Süddeutsche Zeitung trennte sich 2018 von ihrem Karikaturisten Dieter Hanitzsch, weil er es gewagt hatte, eine Karikatur über den Massenmörder Netanjahu zu zeichnen. In der Karikatur, dessen Anlass der Sieg Israels beim Eurovision Song Contest war, steht Netanjahu in einem Kleid vor Zuschauern mit einem Mikrofon in der einen Hand und einer Rakete, auf der ein Davidstern abgebildet ist, in der anderen Hand und sagt: „Nächstes Jahr in Jerusalem!“

Der Antisemitismusbeauftrage Felix Klein war empört und sah hier eine rote Linie überschritten. Die SZ entschuldigte sich für die Veröffentlichung. Trotzdem war die Empörung in den deutschen Medien groß. Anscheinend gibt es auch bei Satire rote Linien. Natürlich bestimmen die Politiker, wo diese roten Linien gezogen werden, aber wir stellen fest, dass es sie gibt. Die Karikatur als solche war wirklich harmlos. Besonders interessant an dieser Stelle ist die Begründung von Felix Klein: Der Davidstern ist ein Symbol der Juden und diesen zu karikieren sei antisemitisch.

Auch das nächste Beispiel zeigt den Doppelstandard in Sachen „Satire darf alles”: In einem Sketch, der Mitte dieses Jahres im öffentlich-rechtlichen Kanal Funk gezeigt wurde, wird das Thema Racial-Profiling durch die Polizei thematisiert: Zwei Polizisten stehen vor einem farbigen Mann, der versucht, sein Fahrrad aufzuschließen. Sie sind sich nicht sicher, ob der farbige Mann ein Dieb ist oder nicht. Sie ziehen eine Palette mit Mustern von Hautfarben, um den Mann einordnen zu können. Am Ende des Clips wird der Mann, dessen Fahrradschloss klemmt, von einem Scharfschützen aus einem Meter Entfernung erschossen.

Durch das Schauspiel der Polizisten ist zu jedem Zeitpunkt die Satire klar zu erkennen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer kommentierte das auf Twitter mit: „gebührenfinanzierter Hass“.

An vorderster Front dieser Empörungen und überschrittenen roten Linien steht die BILD-Zeitung. Sie greift diese berechtigten Karikaturen und satirischen Beiträge, die keine Heiligkeiten beleidigen, sondern lediglich brisante, tagesaktuelle Themen zum Ziel haben, auf und macht damit Politik. Getreu seinen Essentials: Unterstützung des Existenzrechts Israels und Solidarität mit den USA. Als Jan Böhmermann sein Schmähgedicht über den türkischen Staatspräsidenten Erdogan veröffentlichte und damit bei vielen Türken in Deutschland und im Ausland für Empörung sorgte, setzte sich die BILD-Zeitung für die Satirefreiheit ein. Auch im aktuellen Fall spricht sie von Meinungsfreiheit.

Die Prämisse, die Satire für den Westen schützenswert macht, lautet offenbar: Wenn sich deine Satire gegen Minderheiten oder religiöse Gruppen richtet (ausgenommen Juden, da antisemitisch) oder gegen nicht-westliche Staaten (ausgenommen Israel, da antisemitisch) und nicht-westliche Präsidenten (ausgenommen Netanjahu, da antisemitisch), ist die Satire gut und schützenswert. Je beleidigender und geschmackloser sie ist, desto besser ist sie.

Seien wir doch mal ehrlich: Würde ich diesen Artikel unter einem Pseudonym schreiben, wenn die Meinungsfreiheit in Deutschland wirklich so ein hohes Gut wäre? Offenkundig nicht.

Stellt sich Deutschland hinter seine muslimischen Bürger?

Nein. Deutschland hat es wieder einmal versäumt, das war auch nicht anders zu erwarten. Der französische Präsident Macron macht in seinem Land unverhohlen Stimmung gegen die Muslime. Auf offener Straße wurden in Paris zwei muslimische Frauen vor den Augen ihrer Kinder mit Messern attackiert. Macrons Botschaft scheint im Volk anzukommen. Dabei geht es nicht nur um sogenannte Islamisten. Macron geht es um jeden Muslim, der dem westlichen Götzen nicht huldigen will und sich seinem Verständnis von einem liberalen Islam widersetzt. Mit anderen Worten, Muslime wie dich und mich. Die Bundesregierung hat es versäumt, hier mäßigend auf diese gefährliche Rhetorik einzuwirken. Sie hat es auch versäumt, den Muslimen in Deutschland die Angst vor islamfeindlich motivierten Gewalttaten in einer angespannten Lage zu nehmen. Eine gerechte Regierung mit gesunder Moral hätte es ohne weiteres geschafft, den Mord öffentlich zu verurteilen, aber auch gleichzeitig zur Besonnenheit und zum Miteinander aufzurufen. Das Gegenteil ist der Fall.

Macron ist der Meinung, der Islam befinde sich weltweit in einer Krise und es wäre an der Zeit, dass die Angst die Seite wechsele. Angesichts dieser und ähnlicher Äußerungen ist zwischen dem türkischen und dem französischen Präsidenten ein Streit entfacht. Erdogan hat Macron nahegelegt, sich in psychologische Behandlung zu begeben. Die Reaktion der Bundesregierung zu Erdogans Äußerungen liest sich wie eine satirische Parodie. Der Regierungssprecher Seibert sagte am Montag in Berlin: „Das sind diffamierende Äußerungen, die ganz und gar inakzeptabel sind.“ Den Präsidenten von 77 Millionen französischen Bürgern zu beleidigen, ist diffamierend und inakzeptabel, aber den Propheten und die Heiligkeit von eineinhalb Milliarden Muslimen zu beleidigen, ist Meinungsfreiheit?

Nehmen wir rein hypothetisch an, es gäbe in Deutschland keinen §166 im Strafgesetzbuch, der für das Beschimpfen von religiösen Bekenntnissen eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vorsieht – was ist mit dem Grundgesetz? Im ersten Artikel des Grundgesetzes heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Gilt das nicht für die Würde der Muslime in diesem Land? Wir definieren uns über unseren Propheten (s.), Gottes vollkommenes Geschöpf. Wir wollen in all unseren Handlungen, Gedanken und Gefühlen seinem Vorbild folgen. Definiert sich unsere Würde nicht über die Würde Muhammads (s.)?

Können wir etwas tun?

Ja. Wir können immer etwas tun. In erster Linie bleiben wir standhaft und weichen nicht von unseren Idealen ab. Wir verurteilen den Mord und die Karikaturen gleichermaßen, ohne uns in irgendeiner Weise zu distanzieren. Außerdem können wir unseren muslimischen Geschwistern in Frankreich solidarisch zur Seite stehen und sie in unsere Gebete einschließen.

Neben der „Freiheit“ hat sich der Westen einen weiteren Götzen geschaffen: das Kapital. In vielen muslimischen Ländern werden französische Produkte boykottiert. Wir können uns diesem Boykott anschließen. Bereits die Androhung eines Boykotts französischer Produkte hat in Frankreich für heftige Reaktionen gesorgt. Frankreich forderte ein sofortiges Ende der Boykottaufrufe im Internet. Setzen wir die französischen Produkte neben den israelischen und amerikanischen Produkten ebenfalls mit auf unsere Liste boykottierter Waren.

„Und diejenigen, die überzeugt sind und das Rechtschaffene gehandelt haben und überzeugt sind von dem, was auf Muhammad herabgesandt worden ist, während er die Wahrheit ist von ihrem Herrn.“ (Quran 38:2)