Israel präsentiert sich gerne als „einzige Demokratie des Nahen-Ostens“. Während andere Länder ihre Demokratiefähigkeit ständig unter Beweis stellen müssen, wird Israels Demokratiefähigkeit als Selbstverständlichkeit dargestellt – obwohl in Israels Unabhängigkeitserklärung von 1948 von Demokratie keine Rede ist.[1] Ist Israel überhaupt eine Demokratie?

Um diese Frage zu beantworten, wollen wir erst einmal definieren, was eine Demokratie ist. Demokratie bedeutet übersetzt Herrschaft des Volkes und bezeichnet die Mitbestimmung der Bevölkerung eines Landes bei politischen Themen. Demzufolge müsste Israel ein Staat sein, der seine Bürger mitentscheiden lässt und dafür sorgt, dass die Menschen – ausnahmslos alle und nur durch das Alter eingeschränkt – das Recht haben, bei politischen Fragen mitzuentscheiden und das Recht auf ein würdiges Leben haben.[2]

Typische Merkmale einer modernen Demokratie sind freie Wahlen, Minderheitenschutz, die Akzeptanz einer politischen Opposition, Gewaltenteilung, Verfassungsmäßigkeit sowie die Gewährung und der Schutz der Menschen- und Bürgerrechte. Anhand dieser Merkmale lässt sich überprüfen, ob es sich bei Israel um einen demokratischen Staat handelt oder nicht.

Der Prüfstein für jede Demokratie ist ihre Haltung gegenüber Minderheiten. Grundlegende Menschen- und Bürgerrechte werden den Palästinensern verweigert, sie haben kein Recht auf ein freies Leben. Es gibt etliche Gesetze in Israel, die für eine überlegene Position der Mehrheit sorgen, wie das Gesetz zur Staatsbürgerschaft, die Gesetze zum Landeigentum und natürlich vor allem das Gesetz zum Recht auf Rückkehr.

Israel verleiht jedem Juden auf der ganzen Welt, ganz gleich wo er geboren sein mag, auf Wunsch die israelische Staatsbürgerschaft. Es ist ein undemokratisches Gesetz, denn es war und ist begleitet von einer absoluten Ablehnung des Rechts der vertriebenen Palästinenser auf Rückkehr (siehe UN-Resolution 194 vom 11.12.1948).[3] Diese Ablehnung macht es den palästinensischen Bürgern Israels unmöglich, mit näher oder entfernter verwandten Familienmitgliedern, die 1948 und später vertrieben wurden, zusammenzuleben. Gleichzeitig ist die Armee gegenüber den verbliebenen Palästinensern Legislative, Exekutive und Judikative zugleich und bemächtigt sich, ohne jegliche Rechtfertigung Willkür an den Palästinensern auszuüben.[4]

Die Diskriminierung ist ein weiterer Punkt, der aufzeigt, wie wenig Israel mit einer Demokratie zu tun hat. Betrachtet man die Haushaltspolitik, so haben die palästinensischen Gemeinden und Kommunen in Israel seit 1948 wesentlich weniger Fördergelder erhalten als die der Besatzer. Die Raum- und Landknappheit schafft – verbunden mit dem Beschäftigungsmangel – eine diskriminierende sozioökonomische Realität: Die reichste palästinensische Gemeinde, das Dorf Me’ilya im oberen Galiläa, ist immer noch schlechter gestellt als die ärmste jüdische Entwicklungsstadt in der Negev Wüste.

Das durchschnittliche Einkommen von Juden ist 40–60 % höher als das von Arabern. Landbesitzer haben nicht einmal das Recht, mit Nichtjuden Transaktionen durchzuführen. Somit ist es den Palästinensern sehr schwierig, ausreichend Geld zu verdienen, um sich und ihre Familien zu versorgen. Die 40 Prozent der Bevölkerung Jerusalems, die Palästinenser sind, dürfen nicht an den Parlamentswahlen teilnehmen und werden auch sonst, was Belange des täglichen Lebens angeht, notorisch vernachlässigt.[5]

Auch ist es Nichtjuden verboten, einige jüdische Stadtteile zu betreten. Man stelle sich vor, in Deutschland würden Juden oder Katholiken per Gesetz davon ausgeschlossen, in bestimmten Dörfern, Vierteln oder sogar Städten zu leben. Wie lässt sich eine solche Realität mit dem Begriff der Demokratie vereinbaren?

Laut dem jüdischen Geografen Oren Yiftachel kann Israel kein demokratischer Staat sein. Ein Grund dafür sei, dass Israel kein Staat seiner Bürger ist, sondern ein Staat einer bestimmten Ethnie. Diese Ethnie sei überall auf der Welt verteilt und obwohl diese nicht in Israel lebe, würden die anderen in Israel lebenden Ethnien schlechter behandelt und nicht als gleichberechtigte Bürger akzeptiert. Während ein Jude in Berlin jederzeit nach Israel auswandern könne und dort mehr Rechte bekäme als ein Nichtjude, nur weil er Jude ist, habe ein dort geborener Palästinenser weitaus weniger Rechte. Denn Israel definiere sich selbst als jüdischen Staat.[6]

Ein Staat, der Menschen einer bestimmten Abstammung oder einer bestimmten Volksgruppe mehr Rechte auf Ressourcen und Land verleiht, kann sich nicht demokratisch nennen. Vielmehr ist es eine Ethnokratie. Laut der Definition Oren Yiftachels handelt es sich bei einer Ethnokratie „um ein Regime, das einen ethnisch gemischten Staat mittels der rechtlichen und formalen Bevorzugung einer ethnischen Gruppe gegenüber allen anderen beherrscht“.[7] Ähnlich wie man es in Staaten wie den USA oder Südafrika gesehen hat, in denen Dunkelhäutige diskriminiert wurden. In seinem Buch „Was ist los mit Israel?“ schreibt der jüdische Historiker Ilan Pappe: „Ein Staat, der seine eigene Ursprungsbevölkerung […] so offen diskriminiert, kann beim besten Willen nicht als Demokratie bezeichnet werden.“

Ein weiterer wichtiger Punkt, den jeder demokratische Staat erfüllen sollte, sind definierte Grenzen. Israel ist das einzige Land der Erde, das keine definierten Grenzen hat. So kann Israel, wenn die Möglichkeit gegeben ist, weiteres Land für sich beanspruchen und sich weiter ausdehnen. Für Oren Yiftachel ist damit klar: Ein Staat wie Israel, der keine festgelegten Grenzen und damit kein eindeutiges Staatsterritorium hat, kann keine Demokratie sein. Auch über eine Verfassung verfügt Israel nicht.

Die Behauptung, Israel sei die einzige Demokratie im Nahen Osten, ist nichts anderes als eine Lüge und soll die zionistischen Verbrechen kaschieren und den Menschen hierzulande suggerieren, dass Israel ein Staat sei, der den europäischen Staaten nahestehe. Die Wirklichkeit ist aber, dass Israel ein kolonialistisches Siedlerprojekt ist, dessen Ziel es ist, den jüdischen Teil der Bevölkerung hervorzuheben und alle anderen Religionen und Volksgruppen zu benachteiligen.


  1. http://www.mfa.gov.il/mfa/foreignpolicy/peace/guide/pages/declaration%20of%20establishment%20of%20state%20of%20israel.aspx ↩︎

  2. Arn Strohmeyer (2016): Die einzige Demokratie im Nahen Osten? ↩︎

  3. https://unispal.un.org/DPA/DPR/unispal.nsf/0/C758572B78D1CD0085256BCF0077E51A ↩︎

  4. http://www.neopresse.com/politik/naherosten/ist-israel-eine-demokratie/ ↩︎

  5. https://www.cicero.de/aussenpolitik/trumps-und-jerusalem-7-dinge-die-ich-nicht-verstehe ↩︎

  6. Abraham Melzer (2017): Die Antisemitenmacher. Wie die neue Rechte Kritik an der Politik Israels verhindert ↩︎

  7. Oren Yiftachel (2006): Ethnocracy: Land and Identity Politics in Israel/Palestine ↩︎