Teil eins dieser zweiteiligen Artikelreihe warf einen Blick auf die Alija, also die Emigration von Juden weltweit nach Palästina. Das Scheitern dieses zionistischen Projekts beschrieb er als maßgeblich für das Scheitern des gesamten Kolonialprojekts Israel. Für Details dazu vergleiche hier.
Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Frage: Was kommt eigentlich danach? Was bedeutet das Ende Israels für Deutschland? Was bedeutet es für die Muslime im Land?
Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wie das Apartheidregime zu seinem Ende kommen wird. Im besten Fall geschieht dies, ähnlich wie seinerzeit in Südafrika, durch internationalen Druck und einen versöhnlichen Prozess, an dessen Ende ein faires Referendum steht, wie es Imam Chamenei mehrfach vorgeschlagen hat. Es kann aber auch anders kommen. Im schlimmsten und nicht unwahrscheinlichen Fall startet Israel in seiner Selbstüberschätzung einen weiteren unsinnigen Krieg gegen seine Nachbarn, an dessen Ende eine Invasion und Befreiung Palästinas durch den Widerstand steht. Und über das, was bisher kaum jemand für so einen Fall in Erwägung zieht, müssen wir uns, insbesondere als Muslime in Deutschland, bereits heute Gedanken machen: Am Ende wird es, gerade bei einer militärischen Befreiung Palästinas, voraussichtlich zu einem Massenexodus kommen.
Der zionistische Traum von der Alija wird zum Albtraum der Jerida, also der Auswanderung und Flucht von Millionen jüdischen Siedlern aus Palästina. Das kann zu einer menschlichen Katastrophe führen, die sich ohne Weiteres mit der Massenflucht aus Syrien messen kann. Und wie im Syrienkrieg wird Deutschland aus mehreren Gründen auch hier wieder eine entscheidende Rolle bei der Aufnahme von Flüchtlingen spielen. Je früher wir damit anfangen, uns darauf vorzubereiten, desto besser werden wir die Herausforderung meistern.
Warum Deutschland?
Einiges spricht dafür, dass ein großer Teil, wenn nicht gar die Mehrheit der zionistischen Flüchtlinge, nach Deutschland auswandern beziehungsweise zurückkehren wird. Deutschland ist das Herkunftsland vieler Juden (und ihrer Nachkommen), die u.a. aus dem damaligen Nazi-Deutschland geflohen sind. Viele dieser Menschen sprechen noch bis heute Deutsch als erste oder zweite Sprache.
Auch sind viele Zionisten der im ersten Teil dieser Artikelreihe beschriebenen Alija-Welle aus dem ehemaligen Ostblock sogenannte Aussiedlerdeutsche mit deutschen Vorfahren, die relativ problemlos dauerhaft in die Bundesrepublik aufgenommen werden. Viele Israelis haben bereits heute einen deutschen Pass oder sogar schon einen Wohnsitz in der Bundesrepublik angemeldet; die deutsche Staatsbürgerschaft gilt als sehr populär unter Israelis. Allein in Berlin sollen israel-freundlichen Quellen zufolge bereits 18.000 Israelis leben.
Nicht zuletzt spricht gerade in Deutschland auch der menschliche Aspekt für die Aufnahme der jüdischen Flüchtlinge: Die Bundesrepublik hat als Nachfolgestaat des Dritten Reichs das Unrecht, das hierzulande an Juden begangen wurde, mit einem anderen Unrecht, nämlich der Förderung des Zionismus, versucht „wiedergutzumachen“. Statt den Juden in Deutschland eine sichere Heimstätte zu gewähren, löste die BRD ihre Verantwortung auf Kosten der Palästinenser. Diese falsche Wiedergutmachung wird sicher hinsichtlich der Aufnahme von jüdischen Flüchtlingen eine Rolle spielen.
Auch wenn die USA heute noch als die größten Unterstützer des israelischen Apartheidregimes gelten, liegt dagegen die Vermutung nahe, dass sie beim Untergang Israels die Schotten dicht machen. Dafür sprechen mehrere Gründe, wie das US-Verhalten bei den jüngsten Flüchtlingskrisen. Zudem stammen vergleichsweise wenige Juden in Palästina ursprünglich aus den USA. Darüber hinaus lässt die aktuelle Zerrissenheit der amerikanischen Gesellschaft nur erahnen, wohin das Land innenpolitisch steuert, wenn die soziale und wirtschaftliche Polarisierung sich in den kommenden Jahren noch weiter verstärkt. Die USA sind offensichtlich ausreichend mit sich selbst beschäftigt.
Aus islamischer Sicht spricht schließlich auch eine göttliche Regel dagegen, dass die USA ihre bisherigen Schützlinge mit offenen Armen empfangen. Die USA, die unter Muslimen als der Teufel unter den Staaten gelten, agieren auf internationaler Ebene eben genau so, wie der Satan im Koran beschrieben wird. Und eine seiner Charaktereigenschaften ist, dass er seine vermeintlichen Schützlinge im Stich lässt. Das haben naive Unterdrücker wie Saddam, Gaddafi oder die Terrorgruppe Freie Syrische Armee leidvoll erfahren müssen. Ähnlich wird es auch den Saudis ergehen, die heute noch von den USA wie Kühe gemolken, dann schließlich aber doch zur Schlachtung freigegeben werden.
Womit müssen wir rechnen?
Deutschland wird also wieder eine große Last tragen müssen. Wie kann es sich vorbereiten? Was hat Deutschland von der Aufnahme von Millionen Flüchtlingen im letzten Jahrzehnt und auch davor gelernt? Kann man diese Probleme mit dem kommenden Exodus aus Palästina überhaupt vergleichen? Wenn ja, was kann man besser machen? Immerhin sind die aktuell aufgenommenen Flüchtlinge bereits eine Zerreißprobe für die deutsche Gesellschaft.
Eine große Herausforderung, vielleicht sogar die größte, wird der Umgang der Menschen in Deutschland mit den ankommenden Flüchtlingen sein. Rechte Bewegungen, heute noch extrem von der angeblich pro-jüdischen Springerpresse in ihrer flüchtlingsfeindlichen Stimmung befeuert, werden ihren heute noch latent schwelenden Antisemitismus rasch wiederentdecken. Auch haben leider in den vergangenen Jahrzehnten einige Muslime in ihrer natürlichen Abneigung gegen die Ungerechtigkeit in Palästina nicht zwischen der rassistischen Ideologie des Zionismus und der göttlichen Religion des Judentums differenziert. Auf der anderen Seite haben sich viele der kommenden Flüchtlinge durch die Unterstützung der Apartheid mitschuldig gemacht. Diese gefährliche Kombination wird eine Herausforderung, sowohl für die deutsche Gesellschaft als auch für die muslimischen und jüdischen Gemeinschaften.
Idealerweise profitiert Deutschland am Ende von einer beispiellosen Versöhnung. Dafür gilt es aber, Hindernisse aus dem Weg zu räumen. So bleibt auch die Frage nach dem Umgang mit Kriegs- und Besatzungsverbrechern im Raum, die sich – genau wie bei den nach Deutschland gekommenen Syrern und seinerzeit Exil-Iranern – ebenfalls unter die Flüchtlinge mischen werden. Wie will der deutsche Staat mit diesen umgehen oder diese überhaupt identifizieren? Offenkundiges hat bereits mehrfach eine Wahrheitskommission zur Sprache gebracht, die die Verbrechen aufdeckt und an den Pranger stellt. Letztlich werden aber der deutsche Staat und dafür geschaffene internationale Institutionen für die Verfolgung von Kriegsverbrechern zuständig sein. Und zumindest die Bundesrepublik zeigte sich bereits bei den oben genannten Iranern und Syrern nicht besonders tätig. Enthüllungen über den Verfassungsschutz und auch über den Bundesnachrichtendienst zeigen eher, dass diese dazu neigen, solche Menschen zu absorbieren, statt eine Strafverfolgung anzustreben.
Etliche negative Szenarien lassen sich ausmalen, insbesondere aus der Perspektive deutscher Muslime. So ist eine extreme Befeuerung der Islamfeindlichkeit nicht auszuschließen. Aus Sicht des rechten Spektrums werden es ja die Muslime und ihresgleichen sein, die an dem Exodus nach Deutschland die Schuld tragen. Viele nach Deutschland geflüchtete Zionisten werden ihren Hass auf Muslime im Zuge der Flucht nicht einfach aufgeben. Die Sozialisierung in israelischen Schulen und im zionistischen Militär wird bei dem einen oder anderen Flüchtling, trotz oder gerade wegen dem traumatischen Erlebnis der Niederlage, noch nachwirken und sich schlimmstenfalls in Aktionen im Aufnahmeland entladen. Hier kommt sehr viel Aufklärungsarbeit auf unser Land zu; Sozialpädagogen mit interkultureller Kompetenz dürfen heute schon mit einer guten Situation am Arbeitsmarkt rechnen.
Ich persönlich bin aber kein Freund davon, den Teufel an die Wand zu malen. Ja, Flüchtlinge sind eine Herausforderung für ein Land, das ist in Deutschland kein Geheimnis. Aber Deutschland weiß aus Erfahrung, dass Flüchtlinge auch eine große Chance sein können. Viele der Juden, die nach Deutschland kommen werden, werden hochgebildet sein und sich auch in die deutsche Wirtschaft einbringen können. Der ein oder andere Flüchtling wird sich auch durch seinen Unternehmergeist auszeichnen und sich in Deutschland selbstständig machen, Arbeitsplätze schaffen. Außerdem spielt insbesondere aus deutscher Sicht auch der humane Faktor eine Rolle: Nicht nur, dass die Aufnahme von Flüchtlingen an sich eine ehrenhafte Sache ist, hinzu kommt, dass sich Deutschland dann die historische, vielleicht einmalige Chance auf wirkliche Wiedergutmachung bieten wird.
Und wir deutschen Muslime? Werden wir die Verlierer sein und zu Minderheiten zweiter Klasse degradiert? Beschwören Politiker dann noch häufiger ein vermeintlich jüdisch-christliches Erbe in Europa herauf, mit dem Ziel, uns auszugrenzen? Das hoffen wir nicht, wenn es auch nicht auszuschließen ist. Für jeden von uns gilt, dass Aufklärungsarbeit zu leisten ist. Genauso, wie für uns (und jeden gerechtigkeitsliebenden Menschen) die Befreiung Palästinas ein Segen sein wird, kann auch die Aufnahme der Flüchtlinge zu einem solchen oder zumindest zu einer Chance werden. Der Dialog mit den Anhängern der Buchreligionen ist im Islam ein Selbstwert und der Koran fordert von uns, mit Juden und Christen im Guten zu wetteifern. Ein gelebter gesellschaftlicher Friede kann so zu einem Vorbild für andere Regionen der Welt werden. Gott, der Allmächtige und Barmherzige, gibt uns im heiligen Koran die Richtung vor:
Jeder hat eine Richtung, der er sich zuwendet. So wetteifert miteinander in guten Werken. Wo immer ihr auch seid, Allah wird euch allesamt zusammenführen; wahrlich, Allah hat Macht über alle Dinge. (2:148)