Was bedeutet die neue Seuche für uns?

Die wichtigste Lehre für mich ist, dass uns bewusst wird, wie abhängig wir von der Gnade Gottes sind, aber auch, dass wir immer wieder erkennen, welche neuen Chancen und Erkenntnisse bestimmte Krisen in mein Leben bringen. Zurzeit scheint aber das globale Bewusstsein sich seiner Hilflosigkeit bewusst zu werden und auch der Einzelne spürt seine Hilflosigkeit angesichts eines winzigen, krankmachenden Organismus, den niemand sieht und der die ganze Welt im Griff hat. Und genau das bedeutet der Name Corona (Krone/Kranz), denn auch die im Weltall sichtbar erleuchtete Atmosphäre, die die Welt umspannt, nennt man aus diesem Blickwinkel die Corona der Erde. Schauen wir aber von unten, so nennt sich auch der sichtbare Lichtkranz um die Sonne bei einer totalen Sonnenfinsternis Corona.

Die Sonne ist es, die unser tägliches Leben erhellt. Wird sie verdunkelt, sehen wir ihre Corona.
Mag uns das etwas sagen über die Finsternis, in der wir alle Leben, wenn wir uns von Gott abwenden?
Wir wissen noch nicht, ob der Virus die finale Gefahr ist und ich bezweifle das, denn jedes Jahr sterben allein in Deutschland bis jetzt sehr viel mehr Menschen z. B. an einer Lungenentzündung (30.000 pro Jahr allein in Deutschland bei bis zu 75.000 infektionsbedingten Pneumonien. In der letzten schweren Grippeepidemie 2017/18 waren es an die 25.000 Tote[1]. Bei einer Letalitätsrate von 0,2 % müssen wir in Deutschland 2017/18 über 12.500.000 Infizierte gehabt haben und diese nur in der Wintersaison.

Alle drei Sekunden stirbt ein Mensch an den Folgen von Hunger. Laut UN werden jedes Jahr 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel in den Müll geworfen, was rechnerisch etwa viermal so viel ist, wie nötig wäre, um das Hungerproblem in der Welt zu lösen.

Nach dem Global tuberculosis report der Weltgesundheitsorganisation (WHO) starben 2015 etwa 1,4 Millionen Menschen an Tuberkulose. Und Tuberkulose ist eine Erkrankung, die wir heute mit konsequenter Antibiotikatherapie behandeln können. Die Frage ist, warum trotzdem immer noch so viele Menschen daran sterben.
Das sind Zahlen, über die wir ebenfalls einmal nachzudenken haben und die uns auch verdeutlichen, wovon wir bei der Coronakrise reden. Ja, war dieses Sterben jemals Anlass die Politik im Westen drastisch zu ändern; heißt der aktuelle Slogan plötzlich, dass jedes Leben zählen würde?

Gibt es ein Wahrnehmungsgefälle, wenn es um Todesfälle im Westen oder solchen in armen Ländern geht? Sind wir bereit, sämtliche Freiheiten aufzugeben, weil einige wenige alte und vorerkrankte Menschen mit Corona sterben könnten, während uns die Menschen, die an viel schwereren Seuchen, die überall auf der Welt in armen Ländern immer wieder grassieren, inklusive Hunger, egal sind? Welche Opfer sind wir bereit zu bringen, nur damit man ein paar Monate länger lebt und warum bringen wir nicht solche Opfer, wenn es darum geht, o.g. Situationen zu ändern?

Warum springt einer mir bekannten 80-Jährigen das blanke Entsetzen ins Gesicht, wenn ich ihr sage, dass man mit 85 jeden Tag damit rechnen muss, bald zu sterben. Warum nimmt sie lieber Einsamkeit in Kauf, steht weinend vor mir, weil ihre Kinder sie nicht mehr besuchen, als sich der Tatsache bewusst zu werden, dass auch sie nicht ewig leben kann? Warum will sie sogar, dass sie niemand mehr besuchen kommt? Es geht nicht darum, alten Menschen zu empfehlen, Corona in Kauf zu nehmen, sondern um die Frage, warum Menschen im Westen nicht mehr mit der Tatsache umgehen können, dass sie sterben und das Leben immer mit dem Tod endet. Alles Leben wird den Tod kosten.

Nein, es ist die Angst, die Panik, ausgelöst durch das Gefühl der plötzlichen Auslieferung, wie vor der bedrohlichen Finsternis, die jetzt unser wahres Problem ist. Denn die Angst vor dem Unkontrollierbaren, Unfassbaren, dem Ausgeliefertsein ist eine menschliche Urangst. Wir stehen vor dem Phänomen dieser Finsternis genauso panisch und ohnmächtig wie einst, vor gar nicht so langer Zeit, die Menschen vor einer Sonnenfinsternis.

So sagt uns der Psalm 23 Davids:
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück;
denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.[2]

Was bleibt von der Angst, wenn wir Gott vertrauen, wenn wir uns ihm zuwenden, wenn wir wissen, dass er an unserer Seite ist. Selbst wenn es sein Plan ist, dass wir morgen oder vielleicht schon in der nächsten Sekunde sterben, erschreckt uns das?

Der Gesagte Allahs sagte: „Wer das Jenseits zu seiner Hauptsorge macht, für den wird Allah sein Herz mit einem Gefühl des Reichtums und der Unabhängigkeit füllen, er wird zufrieden sein und trotzdem wird die Welt zu ihm kommen. Wer diese Welt zu seinem Hauptaugenmerk macht, dem wird Allah die permanente Furcht vor Armut einhauchen. Diese Person ist abgelenkt und verwirrt und sie wird nichts von dieser Welt haben, was nicht bereits vorher für sie festgelegt wurde.“ [3]

Wenn uns das erschreckt, ist es jetzt an der Zeit, in sich zu gehen und in sich hineinzuhorchen, wie unser Verhältnis zu Gott ist. Denn in nichts zeigt sich unser unvollkommenes Verhältnis zu Gott mehr als in der Angst vor dem Tod. Denn Angst vor dem Tod haben wir nur, wenn wir mit Gott nicht im Reinen sind.

„Wahrlich, mit der Erschwernis gibt es eine Erleichterung.“ [Heiliger Quran, 94:5]

Und auch eines lehrt uns diese Pandemie. Wir sitzen alle im selben Boot, die Angst vor dem Virus ist hier genauso existent wie in weit entfernten Ländern. Und gerade vor dem Auftreten des neuen Virus habe ich mir oft gedacht, es müsste ein Feind antreten, den wir alle, egal welche Nation, Ethnie, Religion bekämpfen müssen, damit die Menschheit lernt, dass es ein Miteinander geben kann und es wichtigere Probleme gibt, als gegeneinander Kriege zu führen. Von ihren lächerlichen Gründen einmal abgesehen, den sollte die Menschheit endlich entwachsen sein. Aber einige Wenige tragen immer noch primitive emotionale Altlasten mit sich herum, wie Imperialismus, Machthunger, Kolonialismus und Rassismus und drängen diese der Welt auf.

Und ein solcher Feind lehrt uns, dass wir alle in einem empfindlichen System leben, das jederzeit zusammenbrechen kann. Ein solcher Feind lehrt uns auch, wie einfach es ist, unseren Fokus durch Ängste nur noch in eine Richtung zu lenken, sodass wir dabei andere Feinde, vielleicht sogar die wahren Feinde der Menschheit, vergessen oder gar übersehen. Aber ein gemeinsamer Feind könnte uns auch helfen, zusammenzustehen, einander zu unterstützen, zu erkennen, dass wir alle dieselben Gefühle der Angst und Trauer kennen und auch das Gefühl der Ohnmacht angesichts von Geschehnissen, die wir nicht kontrollieren können. Diese Situation kann uns auch ins Gedächtnis rufen, dass es Menschen gibt, für die Angst vor ansteckenden Erkrankungen, Hunger und Tod zum täglichen Leben gehören. Und deshalb müssen wir von dem ganzen Leid, das wir anderen zufügen, vor dessen Zufügung uns immer die Wahl bleibt, es dem Nächsten nicht anzutun, Abstand nehmen. Denn wir belasten nicht nur die Seele unseres Nächsten, sondern noch mehr uns selbst, indem wir ein Teil der globalen Finsternis werden, wie als hätte uns ein Virus infiziert, den wir auf andere übertragen.

„Niemals wird der Muslim Anstrengung, Krankheit, Trübsal, Kummer, übel oder Schaden erleiden, sogar wenn ihn nur ein Dorn sticht, ohne das Allah ihm dies als Sühne für seine Sünden zurechnet.“ (Siehe Hadith Nr. 5640)

Denn angesichts des Lebens und angesichts dessen, dass dieses so vergänglich ist wie nichts anderes auf der Welt, sollten uns unsere täglichen, niedrigen Beweggründe, anderen Schaden zufügen zu wollen, doch als gering und am geringsten erscheinen. Da kann jeder bei sich selbst anfangen, indem er aufhört, über andere zu lästern, zu schimpfen oder Schlimmeres. Jeder kennt seine eigenen Schwächen.
„O Allah, ich hoffe auf Deine Barmherzigkeit, also überlasse mich nicht mir selbst, nicht einmal für einen Augenblick und verbessere all meine Angelegenheit, es gibt keinen Gott außer Dir“[4]

Und auf globaler Ebene bedeutet das, dass wir uns endlich als eine Menschheit verstehen und auf den anderen zuzugehen haben, jede Form von Unterdrückung zu lassen haben und auch unsere Waffen ruhen zu lassen.
Corona ist auch die Chance, jetzt zu erkennen, was die Welt bewegt, wie einst die Menschen in Europa lernen mussten, dass die Erde eine Kugel ist und sie ihre Bahn um die Sonne dreht und die Sonnenfinsternis nichts anderes ist als der Schatten unseres kosmischen Begleiters, des Mondes.

So können wir erkennen, welche Schattenregierungen tatsächlich die Welt regieren, wie bösartig, hinterhältig und unheimlich diese sind und wir können uns gemeinsam dagegen erheben. Sie verstecken ihre bösartigen Machenschaften und Pläne nicht wirklich vor uns, nein, sie sind für jeden einsehbar, auch wenn sie noch die Waffe benutzen, uns einzureden, sie zu erkennen und bloßzustellen seien Verschwörungstheorien. Wir können denen begreiflich machen, dass wir uns das nicht mehr gefallen lassen werden und wir uns nicht in ihre Dunkelheit stürzen lassen werden.


  1. Wobei dies grobe statistische Schätzungen im hinterher sind, die bloß die Differenz zwischen Sommer- und Wintersterblichkeit betrachten ↩︎

  2. https://www.ekd.de/Psalm-23-10786.htm ↩︎

  3. (https://www.islamische-zeitung.de/einige-gedanken-ueber-den-produktiven-umgang-mit-sorgen-und-stress-macht-sicht-hassina-khan/) ↩︎

  4. (https://www.shia-forum.de/index.php?/topic/1438-dua-gegen-angst/) ↩︎