Sie sind furchtlos, sprechen Dinge offen an und kennen keine Tabus. Im Netz sind sie die mit dem meisten Wissen, egal ob in der Weltpolitik, in tief theologischen Fragen oder wenn es um die Lösung von kriegerischen Konflikten geht. Liest man diese Beschreibung, dann klingt das so, als wäre man auf diese Personen angewiesen.

Die Realität sieht leider anders aus. Sie sind furchtlos, weil sie sich hinter falschen Profilbildern verbergen. Sie sprechen Dinge offen an, weil sie kaum jemand aus ihrer Pseudo-Freundesliste wirklich kennt, vor denen sie sich schämen könnten. Sie kennen keine Tabus, aber nur weil sie ihre Hemmungen völlig fallenlassen. Längst sagen Forscher, dass im Internet besonders psychisch labile Menschen einer großen Gefährdung ausgesetzt sind. Ein übermäßiger Konsum könne demnach ihre Erkrankung verschlimmern. Doch auch nicht-labile Menschen sind gefährdet, wenn sie eine Identität annehmen, die ihre Wahrnehmung trübt und sie plötzlich anfangen, Dinge zu äußern, die sie im realen Leben nie sagen würden.

Die Spielarten der Fake-Profile im Netz sind so unterschiedlich wie das Umfeld der Personen selbst. Manche denken wie der Mainstream oder rassistisch, andere wiederum sind im religiösen Gewand unterwegs. Ob das im Alltag wirklich ihrer Denkweise entspricht, kann man nicht überprüfen. Im Internet aber nehmen sie diese Denkweisen sehr ernst und geben vor, sie mit aller Macht zu verteidigen. Es steht die Frage im Raum, warum sie speziell im Internet zu großen Aktivisten werden. Sie tun es deshalb online, weil sie anonym bleiben können und so niemand genau weiß, woher ihre ominösen Profile stammen, die sich so sehr für den Islam, Deutschland oder westliche Werte einsetzen.

Woran erkennt man Fake-Profile? Zunächst einmal muss man sich die Mühe machen, ein Profil anzuklicken. Meist hat das Profil nur wenige Bilder und wenn, dann mit religiösen Symbolen oder Nationalflaggen. Oft liest man „Diener bei Allah“ oder ähnliches als Arbeitsstelle, Mekka oder Kerbela als Wohnort und andere skurrile Angaben. Einige Fakes wiederum halten die Flagge ihrer Nation hoch und zeigen, was für stolze Bürger sie sind und dass sie sich gegen die Invasion des Islams verteidigen wollen. Das entsprechende Gesicht jener stolzen Anhänger des Islams oder des Vaterlandes bleibt aber verborgen. Schaut man weiter, dann findet sich oft eine sehr breite Liste von Seiten, die jene Profilfälscher liken, oder Gruppen, denen sie beitreten. Das ist ihre Welt im Netz, insbesondere auf Facebook.

In dieser virtuellen Welt fallen sie mit Themen auf, die sich angeblich andere nicht trauen anzusprechen. Sie stehen für Rassismus gegenüber anderen Völkern, praktizieren die übelsten Beleidigungen gegen religiöse Symbole und Personen anderer Glaubensrichtungen und tragen zur Verbreitung vernunftfremder und unmenschlicher Ideologien bei. Das sind die Themenbereiche, denen sie sich rund um die Uhr in Pseudo-Diskussionen widmen. Ihre Methodik des Aufstachelns ist meist recht simpel aber leider bei vielen sehr wirkungsvoll. Schnell ist man verleitet mitzudiskutieren und die wertvolle Zeit ist damit verschwendet. So kann eine einfache Frage dieses mutigen Internethelden genügen, um die Aufmerksamkeit vieler Nutzer zu erhaschen. Beispielsweise die Frage: „Denkt ihr, Sunniten [alternativ: Schiiten] sind Kuffar?“

Die Diskussion beginnt. In dieser schreiben und posten viele wild um sich, ohne zu wissen, was Kuffar religionsrechtlich bedeutet, geschweige denn, in welchem Kontext der Ausdruck verwendet wird. Doch dieser Aspekt gerät in den Hintergrund. Der Streit ist nun im vollen Gange. Merkt der Profilfälscher, dass einige Personen in der Diskussion seiner List klare Argumente entgegensetzen und der Streit sich beruhigt, dann versucht er, auf anderer Ebene zu argumentieren. „Du … [Beleidigung] ... was willst du denn? … [Beleidigung] ... du Kafir bist doch einer von ihnen und betreibst hier in Wahrheit die Fitna!“

Fitna? Das ist das arabische Wort für Zwietracht. Der Ausdruck wird oft von jenen Fakes und ihren ideologisch Gleichgesinnten verwendet, um ihre Argumente und Denkweisen zu stützen. Dabei sind sie es doch, die Zwietracht heraufbeschwören mit ihrer Anwesenheit und Beiträgen in Foren und sonstigen Diskussionsgruppen. Ihre unzähligen Beiträge führen dazu, dass sie über Jahre hinweg ihre Pflichten, Familien und Arbeiten vernachlässigen und ähnliches bei anderen bewirken, die sich auf ihre unsachlichen Kommentare einlassen. Sie sind die Fitnastifter, sowohl im Netz als auch vermutlich in ihrem Umfeld. Noch Stunden später diskutieren viele unter dem Beitrag weiter. Doch der Fake hat bereits zwei neue Diskussionen entfacht, in denen über das Kalifat von Abu Bakr und die „brutale Diktatur“ im Iran gestritten wird. In vielen Fällen liegt eine Systematik diesem Verhalten zugrunde insofern, als dass jene Personen bewusst in diese Foren von Interessengruppen eingesetzt werden. Allerdings kann es sich tatsächlich auch um eine psychische Erkrankung halten, die sich in Internetsucht oder multiplen Persönlichkeitsstörungen äußert.

Die Beweggründe mögen unterschiedlich sein. Die Gefahr aber bleibt, denn es wird eine Zwietracht gesät, an der sogar Freundschaften zwischen wirklichen Personen zerbrechen können. Menschen, die sich unter realen Bedingungen vielleicht gut verstehen und die voneinander lernen könnten, verlieren durch jene Diskussionen die Chance dazu.

Abgesehen davon schaden natürlich die Aktivitäten dieser Faker auch ihnen selbst. Besonders jüngere Menschen verlieren die wertvolle Zeit ihrer Jugend in einem selbstkreierten Universum auf Facebook. Doch auch da gibt es Hoffnung. Viele dieser Personen bekommen ihr Leben in den Griff, heiraten, werden Eltern und ziehen sich aus der Scheinwelt zurück. Allerdings hinterlassen sie Spuren bei anderen, die sie auch durch ihre plötzliche Enthaltung im Internet nicht mehr wiedergutmachen können. Deshalb ist es wichtig, auf jene Fakeprofile hinzuweisen und ihnen nur mit Vorsicht Aufmerksamkeit zu schenken. In der Internetsprache heißt es: „Don’t feed the troll.“

Ein Sonderfall sind Fakeprofile, die scheinbar echte Bilder von sich im Netz hochladen und, so muss man es sagen, eine fast preisgekrönte schauspielerische Leistung hinlegen, um ihre neuen Freunde im Netz zu täuschen. Hin und wieder haben auch Einzelpersonen viele solcher Profile. Bestehen Zweifel an der Echtheit des Profils, sollte man sich dringend mit Vertrauenspersonen beraten und einen Weg suchen, dies zu überprüfen. Eine relativ einfache Methode ist die Bildersuche von Google. Hierbei wird nicht wie üblich mit Begriffen nach Bildern gesucht, sondern mit dem Bild selbst, dass man entweder bei Google hochladen kann oder, wenn man Google Chrome auf dem Desktop benutzt, per Rechtsklick auf das Bild und „mit Google nach Bild suchen“ recherchieren kann. Schnell kann man fündig werden und entdeckt plötzlich, dass ein scheinbar guter Freund gar nicht der ist, für den er sich ausgegeben hat. Das echte Bild wurde von einer ganz anderen Person in einer anderen Stadt oder sogar in einem anderen Land geschossen. Kommt man in diese Situation, dann gilt es, die Person gründlich aus allen Netzwerken zu blockieren, Beweise zu sichern und Passwörter sicherheitshalber schnellstmöglich zu ändern. Danach ergibt es oft Sinn, die Person darauf anzusprechen und nicht selten verschwindet das Fakeprofil kurze Zeit später aus dem Netz. Man kann dabei nur hoffen, dass es das letzte Fakeprofil der Person war.

Und schließlich gibt es dann noch Ausnahmefälle. Denn nicht jeder Mensch will gerne sein Gesicht im Internet zeigen und seine Daten preisgeben. Besonders Frauen wollen zu ihrer eigenen Sicherheit nicht ihr Gesicht zeigen. Das gilt es zu respektieren. Bei anderen wiederum erkennt man, dass ihre Profile wie Fake-Accounts aussehen, jedoch verhalten sie sich überhaupt nicht dementsprechend. Das liegt besonders daran, dass sie in ihrer Gemeinschaft bekannte Personen sind, die man auch im realen Leben kennt und zum Beispiel in Veranstaltungen trifft. Also gilt oft: Je bekannter eine Person, desto höher ist seine Hemmschwelle im Internet. Doch auch da wird man Personen finden, die trotz ihrer Bekanntheit exakt das Verhalten eines Fake-Accounts zeigen und die keine Anonymität dafür benötigen.

Doch unabhängig von den privaten Daten muss man hier betonen, dass islamische Arbeit in der Öffentlichkeit nicht anonym geschehen kann, auch nicht im Netz. Man geht ja auch nicht mit einer Maske zur Moschee oder hält mit einer Maske oder falschem Namen einen Vortrag in der Universität über den Islam. Es ist schlichtweg nicht möglich und ein solches Verhalten sollte keine Toleranz in Form von Aufmerksamkeit erhalten. Vielmehr sollten jene Personen professionelle Hilfe suchen. Denn ein Mensch muss zu seinen Worten stehen und darf sich nicht hinter religiösen Bildern verbergen, während er sich am lautesten und auf die unwürdigste Art in der angeblichen Verteidigung seiner Religion präsentiert. Es gilt also die Anonymität in der Öffentlichkeitsarbeit zu unterlassen und dann wird man auch oft merken, wie die Hemmschwelle zur Geltung kommt und das falsche Verhalten sich ändert.

Was kann man sonst noch tun, um Fakeprofilen den Wind aus den Segeln zu nehmen? Nicht jede Freundschaftsanfrage blind annehmen. Das wäre ein Anfang. Denn man kann tatsächlich auch im realen Leben Kontakte knüpfen und diese pflegen, man muss es nur mal versuchen.